Rezension: Ursel Braun, Exil im Paradies. Von Marta Feuchtwanger bis Helene Weigel

Faszinierende Frauen im Los Angeles der 1940er-Jahre

Cover zu Braun, Exil im Paradies

Mit ihrem neuen Buch fächert Ursel Braun ein Stück Emigrationsgeschichte an der US-amerikanischen Westküste auf. Damit lenkt die Autorin und Bloggerin den Blick nicht nur wohltuend auf die porträtierten Frauen, sondern erinnert auch an ein Randkapitel transatlantischer Beziehungen im 20. Jahrhundert.

Salka, Katia, Nelly, Alma, Marta und Helene. Sechs Frauen, die Anfang der Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in Pacific Palicades gestrandet sind. Dort, wo im Januar 2025 wochenlang Brände gewütet und Tausende Häuser zerstört haben. Bei meiner Lektüre von Ursel Brauns Buch lodern die Feuer schwach zwischen den Zeilen auf. Den tatsächlichen Hintergrund des Erzählten aber bildet der Flächenbrand in Europa, dem die Frauen knapp entgangen sind – zusammen mit ihren berühmten Männern.

Jedes Kapitel umfasst ein Jahr, von 1940 bis 1945. Abschnitt für Abschnitt, immer abwechselnd, entstehen faszinierende Porträts. Die Autorin führt ihre Protagonistinnen ein, skizziert die Herkunft, zeigt ihre Lebensgewohnheiten, ihr Zuhause, das sie sich in der Emigration geschaffen haben und das bei einigen zum Anlaufpunkt für andere Gestrandete wird, aber auch für schillernde Leinwandstars aus Hollywood.

Der Hölle entkommen

Es braucht Persönlichkeiten wie Salka Viertel, die mit ihrem Mann Berthold bereits seit 1928 in Los Angeles lebt und zur Integrationsfigur wird. Als zeitweise sehr erfolgreiche Drehbuchautorin verfügt sie über hervorragende Kontakte und unterstützt Neuankömmlinge aus Europa, wo sie kann. Auch Katia Mann engagiert sich für Verzweifelte, die Visa und Geld brauchen, um in die USA reisen zu können. Sie und ihr Ehemann lassen sich 1940 für den Sommer zunächst in Brentwood nieder. Im selben Jahr kommen Nelly Kröger-Mann und Heinrich Mann sowie Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel an; sie haben von Südfrankreich aus mit gefälschten Ausweisen, besorgt von Varian Fry, nach einem Fußmarsch über die Pyrenäen das rettende Schiff nach Amerika erreicht.

Marta und Lion Feuchtwanger sind auf ähnlichem Weg den Nazis entkommen und von New York an die Westküste der USA gereist; Helene Weigel gelangt mit ihrem Mann Bertolt Brecht samt Anhang von Wladiwostok aus auf dem Seeweg nach Los Angeles.

Schicksalsgemeinschaft in »New Weimar«

Wie diese Menschen sich in der Emigration zurechtfinden und miteinander umgehen, das ist spannend zu lesen. Nicht immer herrscht Eintracht, aber man rauft sich zusammen. Ohne die Frauen läuft gar nichts in »New Weimar«. Sie organisieren den Alltag, bewirten die Exil-Bohème mit Apfelstrudel aus der Anti-Heimweh-Küche, sind Ratgeberin und kritische Stimme. Eine von ihnen allerdings, Nelly Kröger-Mann, die ihrem Ehemann Heinrich die Flucht ermöglicht hat, muss sich mit der Rolle der Außenseiterin begnügen. Von Katia und Thomas als nicht standesgemäß angesehen und beharrlich ignoriert stirbt sie 1944 nach mehreren Suizidversuchen an einer Überdosis Schlaftabletten.

Anders als sein Bruder ist Thomas Mann, der Literaturnobelpreisträger, auch in den USA populär, an Geld mangelt es nicht. 1942 entsteht unter Katias Federführung das heutige Thomas-Mann-Haus auf dem Hügel von Pacific Palisades über der Bucht von Santa Monica; beim Einzug findet der Großschriftsteller in seinem Arbeitszimmer alles wie gewohnt vor, bis hin zum Brieföffner aus Elfenbein auf dem Schreibtisch; auf der Terrasse wird auch hier jeden Tag Punkt sechzehn Uhr »Thee« serviert.

Wenige Kilometer davon entfernt kauft Marta 1943 die halb verfallene und deshalb günstig angebotene Villa Aurora, renoviert sie und macht daraus ein »Schloss am Meer«, so Hermann Kesten, der sich zur gleichen Zeit in Los Angeles den Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten verdienen muss. Marta Feuchtwanger motiviert ihren Mann nicht nur zu gemeinsamen morgendlichen Dauerläufen und Fitnessübungen, sie liest auch die Druckfahnen seiner Romane Korrektur und verhandelt mit Agenten und Verlagen.

Überschattetes Paradies

Alle diese Details ergeben einen sehr persönlichen Blick auf die Lebensumstände der Literaten und ihrer Frauen im Exil. Zu den Herausforderungen gehört es, dass die Deutschen nach Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 als feindliche Ausländer betrachtet, mit Sanktionen belegt und überwacht werden. Helene bleibt trotz mehrerer Anläufe ohne Möglichkeit, in ihrem Beruf als Schauspielerin zu arbeiten, stattdessen ist sie vollauf damit beschäftigt, die Familie zusammenzuhalten und sich gegen Brechts »Frauensystem« mit diversen Geliebten zu behaupten.

Aus der Ferne verfolgen die Mitglieder des Emigrantenzirkels die Verwüstungen des Bombenkriegs, bangen um jene, die zurückgeblieben sind, und hoffen auf ein baldiges Ende des Schreckens. »Alle […] sind Versehrte, hochintellektuell und von Sehnsucht nach der verlorenen Heimat geplagt.«

Bedrohte Zuflucht

Unter den über zehntausend Geflüchteten, die seit 1933 aus Deutschland und Österreich an die Westküste der Vereinigten Staaten kamen, waren zahlreiche Intellektuelle, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen. Die sechs Frauen, die Ursel Braun in den Mittelpunkt ihres Buchs stellt, bilden einen kleinen Teil dieser Emigrationsgeschichte. Und der schmale Band regt dazu an, sich mit jeder einzelnen von ihnen eingehender zu beschäftigen.

Die beiden deutschen Kulturstätten, die aus den Häusern von Katia und Marta hervorgegangen sind, haben die jüngsten Waldbrände offenbar einigermaßen überstanden und können als Begegnungsorte und Künstlerresidenzen wohl fortbestehen. Aber wird der freie Austausch über »grundlegende politische, gesellschaftliche und kulturelle Gegenwarts- und Zukunftsfragen«* dort angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen auch weiterhin möglich sein? Oder braucht es ein neues Exil?


Ursel Braun
Exil im Paradies. Von Marta Feuchtwanger bis Helene Weigel
ebersbach & simon, Berlin, 2025
Halbleinen mit Abb., 144 Seiten
ISBN 978-3-86915-311-7, 20,00 Euro

* https://www.vatmh.org/de/tmh-mission-statement-de.html

Danke für das Rezensionsexemplar an den Verlag.

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