Eine Schutzheilige für Bücher

Wiborada, Federzeichnung auf Papier, 15. Jahrhundert; St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 586, p. 230

Nach dem Welttag des Buches am 23. April bietet schon der 2. Mai wieder Gelegenheit zum Gedenken. Unter diesem Datum steht im Heiligenkalender der Name Wiborada, die Patronin der Bibliothekare und Bibliophilen. Als erste Frau wurde sie 1047 von einem Papst kanonisiert. Sie gilt als Retterin der Bücher.

Wenig ist über die Herkunft dieser Frau bekannt, obwohl sich mehrere Lebensbeschreibungen erhalten haben. Darin heißt es, dass Wiborada 926 von den Heiden erschlagen wurde. Sie hatte sich geweigert, ihr Gelübde zu brechen und St. Gallen zu verlassen, wo sie seit zehn Jahren in einer Klause wohnte. Lebendig eingemauert. Allerdings sorgte sie dafür, dass der Abt das Kloster rechtzeitig evakuierte und die Bücherschätze in Sicherheit bringen ließ. Eine Vision hatte sie vor dem drohenden Überfall gewarnt.

Die Benediktinerabtei am Bodensee war Anfang des 10. Jahrhunderts eine Kulturmetropole. Etwa hundert Mönche lebten dort, in der Schreibwerkstatt wurden die maßgeblichen kirchlichen und wissenschaftlichen Werke kopiert und weiterverbreitet, neue Schriften entstanden. Die Bibliothek verwahrte mehrere hundert Titel, auf Pergament geschrieben und in feine Kodizes gebunden. Und das in einer Zeit, in der ein Buch zu besitzen einer kleinen Elite vorbehalten war.

Ausgegrenzt und hochverehrt

Wiborada wurde ein Teil dieses blühenden Gemeinwesens, schon zu Lebzeiten eine der Hauptattraktionen von St. Gallen, und das als Frau. Aber sie wählte dafür einen dornigen Weg. Ihre Klause war angebaut an eine Kirche nahe dem Klosterbezirk, mit zwei kleinen Öffnungen, eine zum Altar hin und eine in der Außenwand. Nach ihrer feierlichen Einschließung 916 verließ sie den engen, unbeheizten Raum nie mehr.

Diese extreme Form der Askese war gar nicht so selten im Mittelalter und machte Wiborada berühmt. Die Menschen kamen zu ihr wie zu einem Orakel, später dann pilgerten sie an ihr Grab. Man erzählte sich Wundergeschichten über die Reklusin und über die Rettung der Bibliothek. Sie galt als Inbegriff christlicher Tugend und weiblicher Gelehrsamkeit, lange vor Hildegard von Bingen. Was für ein trauriges Beispiel für eine Liebhaberin der Bücher.


Mehr zu Wiborada hier:
Marion Voigt, »Wiberat. Eine Frauengestalt aus dem Frühmittelalter als Patronin der Bibliothekare und Bibliophilen«, in: LIBREAS. Library Ideas, 25, 2014

Abb.: Wiborada, Federzeichnung auf Papier, 15. Jahrhundert; St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 586, p. 230

Dieser Beitrag ist auch auf dem Blog der BücherFrauen erschienen.

 

Anfang der Herimannus-Vita, 11. Jh.; St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 560, p. 394/395

Herimannus-Vita, St. Gallen, Stiftsbibliothek, Anfang

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