Das Buch als künstlerisches Konzept
Gastbeitrag von Sabine Neubauer
Was ist das, ein Buch? Welche Funktion hat es, welche Gestalt, welche Materialität? Diese Fragen bewegen mich auf der sinnlichen, konkreten Ebene. Dort, wo sich traditionelle Herstellung und künstlerisches Konzept begegnen.
Der Urgrund, das Papier, bildet die Quelle meiner Inspiration. Jedes Papier hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Geschichte. Die Pflanzenfaser Kozo, eigensinnig und spröde, steht mir dabei am nächsten. In ihr fand ich mein ganz persönliches Material. So entstand 2012 die Serie »Gleich einem Flügelschlag«: dreißig Seitenpaare, handgeschöpft, mit Fäden durchzogen. Schwarze Spitze – gearbeitet in der Tradition der Plauener Spitze – verbindet sie mit einem feinen Band. Nebeneinandergereiht an der Wand lockt Seite für Seite dazu, sie zu berühren und zu blättern. Die herabhängenden Fäden bewegen sich leicht und leise. Sie erinnern an feines Haar. Im Mittelpunkt stehen das Material und seine Leichtigkeit.
Seit geraumer Zeit inspirieren mich Klassiker. Einzelbände der Brockhaus Enzyklopädie werden filetiert, die Seiten zu Papierpulp verarbeitet und neu serviert. Reclamhefte, die vertrauten Begleiter in Gelb, werden in Form und Farbe hinterfragt und zu Buchrollen verarbeitet. Ein Gedichtband von Paul Heyse mutiert im Häcksler zum »Heyssen Igel«. Jedes Buch, jede Sammlung steckt voller Geheimnisse, die ich erforschen möchte. Der kreative Prozess, der sich daraus entwickelt, mündet in eine Neuordnung der Materie. Zum Lesen eignen sich meine Buchobjekte nicht mehr. Bedeutungstragend sind allein Form, Farbe und räumliche Dimension.
Im Zeitalter der Digitalisierung wird das Buch entmaterialisiert. Meine Objekte stehen dagegen für das sinnliche Erleben von Büchern. Von Hand geschöpft oder recycelt zeigen sie sich als Buchkörper. Autonome Kunstwerke, die auffordern zum Gespräch über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges.
»Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.« Jean Jaurès (1859–1914)
Arbeiten von Sabine Neubauer: