Auslese 2024

Buchcover-Collage

Das Jahr 2024 geht nicht zu Ende ohne den bangen Blick auf das, was kommt. Als 1964 Geborene habe ich einen Epochenwandel erlebt, der zu den schönsten Hoffnungen Anlass gab. Es öffnete sich ein Zeitfenster für Annäherung, Ausgleich, Integration. Kaum dreißig Jahre später scheinen alle Chancen verspielt. Haben wir geschlafen? Gezündelt? Uns zu sehr in Sicherheit gewiegt?

Kein Fatalismus, nein. Über die Jahrhunderte hinweg gesehen ist unsere Situation nicht außergewöhnlich. Aber wir haben als Gesellschaft Großartiges erreicht, lassen wir uns nicht irremachen. Bewahren wir, was uns wichtig ist. Füreinander, miteinander.

In der Rückschau erfüllt mich vor allem Dankbarkeit. Viele wunderbare Bücher sind über meinen Schreibtisch gegangen. Ich habe moderiert, einige Vorträge gehalten und, das ist neu, Studierende im Fach Literarisches Schreiben der Akademie Faber-Castell betreut. Eine spannende, schöne Aufgabe.

Die Zusammenarbeit mit Axel Voigt als freiem Hersteller und der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen bereichern immer wieder meine Lektoratstätigkeit, ob es nun um Papier- und Bindequalität geht oder um generative KI.

Magische Momente erlebte ich diesen Sommer in Dublin. Über Irland hatte ich schon vor Jahren Texte in einem Bildband veröffentlicht, aber ich war nie dort gewesen. Jetzt besuchte ich endlich ganz real die Bibliothek des Trinity College. Draußen auf dem Campus ruht inmitten eines abgedunkelten Kubus in einem gläsernen Schrein das prächtig illuminierte Book of Kells aus der Zeit Karls des Großen. Nur eine Viertelstunde entfernt wartet im Museum of Literature ein weiterer Schrein, darin leuchtet das schlichte blaue Cover der Erstausgabe von Ulysses, über zwölfhundert Jahre später entstanden. Zwei Ikonen der Buchkultur.

Mein persönlicher Glücksmonat war der März. Zuerst erschien mein Buch über die russischen Literaten im 19. Jahrhundert: Verheißung und Dekadenz. Auf die Premierenlesung in Baden-Baden folgten weitere Lesungen und viel positive Resonanz, unter anderem von Elke Heidenreich.

Und dann kam am Ostersonntag unsere Enkeltochter zur Welt. Was für ein Grund zum Freuen und Hoffen.

Uns allen wünsche ich für 2025 Klarheit, Vertrauen und Momente voller Lebens- und Leselust.

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